Es fällt schwer, auf Andreas Mertin und seinen Artikel „Was ‚Digitalisierung‘ in der Kirche nicht heißen kann“ [1] und den nachgeworfenen „Fehdehandschuh“[2] zu antworten. Er zwingt dazu, sich rechtfertigen zu müssen. Theologische Beweise werden eingefordert. Wer so auftritt, will Recht haben. Und wird unterstützt durch eine Schriftleitung, die im Korrespondenzblatt 40.000 Zeichen für Digitalisierungskritik freihält (So in der Ausgabe Januar 2019 und Februar 2019) und einer Antwort 5000 Zeichen zugesteht.
(Update: ich hatte im Februar beim Korrespondenzblatt nachgefragt, ob sie nach drei digitalkritischen Artikeln in zwei Heften an einer Antwort interessiert wären. Antwort war „Ja, aber maximal 5000 Zeichen. Und Mertin machte die Werthaftigkeit ja auch an der Zeichenlänge fest. Deswegen dieses merkwürdige Zeichenzählen)
Was aber heißt Digitalisierung in der Kirche?
Wer dieses Thema reitet, kann auf zwei Seiten vom Pferd fallen. Die einen meinen, man könne sich zur Digitalisierung verhalten, könne und müsse also entscheiden, ob man da mitmacht oder eben nicht. Da ist dann das Persönliche das einzig wahre und wird allein entscheidend: „Gibt es eine Begegnung mit Gott in der Person Jesu Christi? Dann ist die Frage der räumlichen Gestaltung und des Kontextes sekundär. Gibt es diese personale Begegnung nicht, ist alles hinfällig?“ Spannend ist hier die Engführung: Ich kann Gott in der Person Jesu Christi auch im Netz begegnen. Wenn aber nur personale Begegnungen zählen, dann lasst uns Telekommunikation, Medienarbeit und alle moderne Technik abschaffen. Kirche ist dann nur da, wo zwei oder drei … .
Aber auch die andere Seite ist sehr attraktiv, um vom Pferd zu fallen: Digitalisierung würde helfen, Probleme der Kirche zu lösen. Junge Menschen könne man so erreichen oder digital helfen, dass Menschen ihre Gemeinde besser fänden. Auch diese Hoffnung ist ein Irrweg. Meine Erkenntnis nach fünf Jahren Arbeit in Social Media ist: Fast kein Problem in #digitaleKirche war nicht schon mal als altes analoges Problem da. Und was bisher nicht gelöst wurde, löst sich auch digital nicht. Es fällt nur schneller und häufiger auf.
#digitaleKirche als Hilfsmittel
Auf Twitter ist seit einiger Zeit der Hashtag #digitalekirche[3] gebräuchlich, um die aktuelle Diskussion der vielen gut verfolgen zu können. So belegte Carola Scherf kurz und fröhlich[4]: die Zukunft der Kirche ist digital, weil digitale Kirche die lokalen Begrenzungen überwindet und die Gemeinschaft vor Ort ergänzt. Digitale Kirche ist eine sinnvolle Weiterentwicklung, weil sie orts- und zeitunabhängig ist und skalierbar ist[5]. In der Verkündigung des Evangeliums und der Kommunikation miteinander nicht darauf angewiesen zu sein, dass man körperlich an einem Ort zusammen kommt und der Platz in einer Kirche auch mal nicht ausreicht, ist für mich eine Stärke einer Digitalisierung in Kirche, die das vorhandene sinnvoll ergänzt. Wer behauptet, digitale Kirche wolle althergebrachte Kirche ablösen oder ersetzen, diskeditiert um Pfründe zu sichern. Ich möchte schon deswegen über möglichst viele digitale Felder nachdenken, damit wir wieder Platz und Zeit haben für das, was in Kirche immer im persönlichen Gegenüber und der körperlichen Gemeinschaft bleiben wird. Vieles, was wir da noch analog pflegen, hat keinen theologischen Grund, auf Papier gedruckt oder nicht automatisiert bearbeitet zu werden[6].
So erscheinen viele schöne Geschichten und Bilder in Gemeinden immer noch ausschließlich im Gemeindebrief und als Nachberichte, oft Wochen nach dem Ereignis. Theologisch und publizistisch gibt es dafür keinen Grund. Parusieverzögerung kann auch meist auch ausgeschlossen werden. Digitale Kirche würde Bilder und Bericht zeitnah und online veröffentlichen und den Gemeindebrief wie die „Zeit“ für Themen und längere Artikel nutzen können.
Für Automatisierung könnte das Ausstellen einer Patenbescheinigung ein guter Usecase sein. Das Kirchenmitglied loggt sich in ein MitgliederTool ein und ruft im Portal für Bescheinigungen das gewünschte ab. Da in vielen Gemeinden heute schon dieser Fall nicht dazu genutzt wird, um dem künftigen Paten Gottes Segen bei der bevorstehenden Aufgabe zu wünschen und eine Veranstaltung für werdende Paten anzubieten, kann die Bescheinigung auch automatisiert werden. Wer dies jetzt schon anders behandelt und die Anfrage als Beginn einer Kommunikation nimmt, ist zu beglückwünschen und hat ein Stück analoge Kirche wieder entdeckt. Hier braucht es dann die Automatisierung nicht.
Auch die von Thiede wie einst Cato der Ältere immer wieder hervorgeholte Mahnung, man dürfe die elektrosensiblen Menschen durch freies WLAN angeboten durch godspot nicht aus der Kirche treiben oder gefährden, ist für mich eine Vermischung der Argumentationen. Wenn Kirche sensibel mit Strahlung umgehen will, muss sie Kirchenräume ganz bewusst ohne Induktionssschleifen für Schwerhörige, Strom-Bankheizungen, Funkmikrofone und WLAN anbieten und darin Gottesdienste ohne jede technische Störungen anbieten. Derartige digitale Detox-Kirchen hätten einen besonderen Reiz. Im privaten Umfeld aber Smartphone, Herzschrittmacher, Hörgerät und Navi zu nutzen und beim WLAN „Achtet auf die Strahlung!“ zu rufen, ist für mich inkonsequent. Auch hier bedeutet Digitalisierung für Kirche, sich bewusst und in der jeweiligen Situation für das eine oder das andere zu entscheiden.
Hilfreich in diesem Zusammenhang ist Petra Bahr, die anmerkt: „Das Digitale vor Kirche kann man genauso weglassen wie die Kultur vor Kirche bei Kulturkirche. Wie das weiß vor Schimmel. Aber erst dann, wenn die kritische Verbindung aus beidem sich von selbst versteht[7].“ Ich würde sagen: Bis dahin ist noch viel zu tun. Den Hashtag #digitaleKirche als Hilfsmittel zur Verortung und Kommunikation braucht es noch ein Weilchen.
Digitale Theologie und die Theologie des Digitalen
Seitdem Johanna Haberer 2015 ihre „Digitale Theologie“ veröffentlichte, ist viel geschehen. Eine Kritik, die sich nur an diesem Werk abarbeitet, übersieht kluge Beiträge wie die von Christina Ernst[8] Marcel Saß aus Marburg oder den Berliner Systematiker Florian Höhne[9]. Viele beschäftigen sich klug und aktuell mit Digitalisierung. Die Arbeit von Thomas Zeilinger als Beauftragter der ELKB für Ethik im Dialog mit Technologie und Naturwissenschaften ist aus meiner Sicht nur ein Anfang. Ein ökumenischer (!) Lehrstuhl für digitale Theologie wäre notwendig. Theologisches Denken hilft dabei, jede kleine Veränderungen auf den Glauben und das Leben hin zu befragen. Wer wenn nicht wir hätte dabei eine Ahnung von Freiheit und Rechtfertigung. Damit bis zu einem wie auch immer aussehenden Ende der Digitalisierung zu warten und dann das Ergebnis bewerten, wird m.E. nicht möglich sein. Ebenso wenig, wie vorher schon zu sagen, wohin Digitalisierung uns führen wird und sie deswegen komplett abzulehnen.
Auch eine Theologie des Digitalen ist notwendig. Digitale Vordenker im Silicon Valley entwerfen Visionen, die viel Verheißung und Weltverbesserung atmen. Wir sind als Christ*innen sind nicht mehr die einzigen, die von einer besseren Welt träumen. Gerade deshalb können Theolog*innen gute Mitdenker sein und so manchen verheißenen Fortschritt als noch nicht verwirklicht anmahnen.
Gerne übernehmen möchte ich aber das Silicon-Valley-Mindset: eine Idee erst einmal auf ihre Möglichkeiten und Chancen hin zu überprüfen und zu fragen „Wie kann ich dir helfen, deine Idee zu verwirklichen?“ und nicht – typisch deutsch – mit „Da fallen mir aber viele Probleme ein, weswegen das nicht möglich ist“ zu reagieren.
Was ist der Mehrwert? Gefällt dir das?
Mit einer Entwicklung in der Digitalisierung tut sich Kirche besonders schwer: mit der allgegenwärtigen Frage nach dem Mehrwert. Für viele Menschen ist ein Inhalt oder eine Institution nicht deswegen wertvoll, weil es sie schon lange gibt oder sie in der Vergangenheit Verdienste erworben hat. Sie entscheiden von Fall zu Fall, was dies oder jenes Ihnen bringt oder ob es weiterhilft. Alles Bemühen von Kirche, Tradition um ihrer selbst zu wahren und damit zu punkten, ist vergeblich. Die Chance liegt darin, das Evangelium immer wieder neu zu formulieren, auszulegen und auf das jeweilige Leben hin zu deuten. Digitalisierung ist damit immer auch Institutionenkritik. Unternehmen, die auf diesen Mentalitätswandel reagieren, überleben. Wer in „bewährten“ Strukturen verharrt, verpasst diese Chance. Viele Probleme waren früher mal eine Lösung.
Wesentlich mehr als früher sind Menschen auch bereit, sich zu einem Inhalt persönlich zu verhalten oder einen Kommentar abgeben und diesen im Internet zu veröffentlichen. Nichts anderes ist Liken und Kommentieren in sozialen Medien. Besonders bei kirchlichen Entscheidungsträgern stößt dieses Verhalten auf Unverständnis, weil sie selbst damit nicht leben. Kirche verpasst hier viele Gelegenheiten, mit den ihr anvertrauten Daten zu arbeiten. Die Besonderheit des DSG-EKG, das kirchliche Arbeit als legitimen Grund für Datenverarbeitung vorsieht, wird vielfach nicht ausgeschöpft. Dabei könnte Kirche in der Datennutzung Vorbild sein: wir wissen, dass Menschen nicht die Summe unserer Likes sind und kennen die Grenzen von Inszenierung. Die Botschaft von Freiheit und Rechtfertigung wirft ein völlig anderes Licht auf den Wert von Daten.
Die Mär vom Ersetzen der Pfarrer
Zu den berührendsten Rückmeldungen auf den Segensroboters BlessU bei der Weltausstellung in Wittenberg gehört die eines Besuchers: „Ich wurde noch nie so viel gefragt wie von diesem Roboter. Der interessiert sich mehr für mich als mein Pfarrer“. Gedacht war das Roboter-Projekt als Anstoß, um über Segen nachzudenken. Deswegen war immer ein Mensch neben der Maschine, um sich über den gerade erlebten Segen austauschen zu können. Dass Defizite im analogen Handeln von Kirche offensichtlich wurden, überraschte viele. So teile ich die von Mertin und Thiede befeuerte Angst nicht, geistliches Handeln könne und solle bald von Maschinen übernommen werden. Es gibt sicher Arbeiten, die bald oder jetzt schon von Robotern übernommen werden. Doch möchte ich vor allem bei stupiden oder gefährlichen Arbeiten schon fragen dürfen, ob es immer besser ist, wenn Menschen diese Jobs machen (müssen).
Ein für viele nicht nahe liegendes Beispiel ist der Telefondienst in Pfarrämtern. Der Einsatz digitaler Technik könnte außerhalb der Öffnungszeiten eines Pfarramtes dazu führen, dass Menschen an die Mitarbeitenden des EKD-Service-Telefons weiter verbunden werden oder mittels (klar aus solchem gekennzeichneten) Chatbot ihr Anliegen differenzieren können. Wenn das nicht hilft, kann die Nachricht auf dem Anrufbeantworter, die Nummer der Telefonseelsorge oder das Notfalltelefon im Dekanat weiter helfen. Alles digitale Entlastung der Mitarbeitenden in den Pfarrämtern, die heute schon technisch möglich ist.
Problematisch finde ich es beides: Digitalisierung zuerst als Mittel der Kostenminimierung zu sehen oder das Nachdenken über Digitalisierung vorschnell als Bevormundung oder mutwilliges Zerstören des Althergebrachten abzustempeln. So kommen wir nicht weiter. Auch hier kann Kirche zeigen, dass sie manche Muster der Wirtschaft nicht übernimmt: wir nützen Digitalisierung, um unsere Arbeit leichter zu machen und um dann mehr Zeit für Menschen zu haben.
Mit Mertins Ausflug in seine anscheinend sorgfältig gepflegte Science-Fiction-Sammlung kann ich wenig anfangen. Wenn man jede Zukunftsvision als „Spiegel der Sehnsüchte einer Gesellschaft begreift“, diskreditiert man Menschen, die einfach nur Probleme von Menschen lösen wollen und deswegen Lösungen neu denken. So macht es mich schon nachdenklich, wenn immer mehr Menschen die evangelische Kirche verlassen, weil sie keinen konkreten Mehrwert in der Kirche sehen. Böte eine MitgliederApp den freien Zugang zur Ortskirche mittels digitalem Schlüssel, die Reservierung eines Sitzplatzes im Weihnachtsgottesdienst und die Abomöglichkeit für Predigten und Andachten als Podcast an, wäre das ein konkreter Mehrwert digitaler Anwendung. Aber schon diese wenigen Beispiele dürften aber bei vielen in der Kirche nur Gelächter auslösen. Da kratzt manche Fiction dann doch zu sehr an den Lieblingsfragen kirchlicher Entwicklung „wo kämen wir dahin?“.
Ebenfalls nicht genügen kann ich der Anforderung, man müsse sich erst akademisch bewährt haben um sich an einem Diskurs zu beteiligen. Wie Mertin sich aber über Kollegen wie den von mir sehr verehrten Lutz Neumeier auslässt, verträgt sich nicht mit dem Miteinander unter Christinnen und Christen.
Mein Fazit
Digitalisierung in der Kirche ist kein Sonderfall sondern Normalität. Heutige Öffentlichkeit ist das Internet. Wenn wir als Kirche Menschen erreichen wollen, dann müssen wir da sein, wo die Menschen sind. Dass schließt nicht aus, das wir besondere Räume und Zeiten anbieten, die sich von der Welt abheben. Aber es bedeutet auch nicht, dass wir uns auf diese heiligen Räume und Zeiten beschränken, ja Kirche als nur dort möglich verstehen.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott uns nicht auch im Internet begegnet. Ich bin dankbar für viele Gottesbegegnung und wunderbare, berührende Freundschaften mit Menschen, digital und analog. Und könnte es nicht sein, dass Gott die Digitalisierung schickte, um uns zu bewegen?
[1] In Korrespondenzblatt Jan und Feb 2019, erstveröffentlicht in https://www.theomag.de/112/am623.htm
[2] https://www.theomag.de/117/am658.htm. Andreas Mertin hat mich eingeladen, in seinem Magazin „Tà katoptrizómena“, der Plattform für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik zu antworten. Auch die Länge war vorgegeben. Alles darunter sei „dahingerotzt“. Man mag mir verzeihen, dass ich dieser „wertschätzenden“ Einladung nicht folge und deswegen hier und länger in meinem Blog antworte.
[3] #digitaleKirche wird hauptsächlich auf Twitter verwendet. Andreas Mertin verwendet ihn wohl absichtlich falsch mit Leerzeichen, wohl um nicht „maschinenlesbar“ zu werden. Dieses nette akademische Mimikry sorgt aber auch dafür, dass seinen Artikel sich in der aktuellen Diskussion schwer einbinden lässt. Ein vielleicht gewollter Versuch, sich „nicht gemein zu machen“. Zur Verständigung trägt es wenig bei.
[4] http://carola-scherf.de/2019/01/11/kirche-in-der-vernetzten-welt-digitale-kirche-als-beziehungsnetz/
[5] Der Gedanke finden sich auch bei Harald Schirmer, der in der Conti AG für digitale Transformation verantwortlich ist. Zu lesen z.B. hier http://harald-schirmer.de/tag/veranderung/
[6] Beispiele dafür in der Langform dieses Beitrages auf https://kirchedigital.blog/2019/02/07/was-digitalisierung-in-der-kirche-heissen-kann
[7] In ihrem Tweet vom 6.2.2019 als @bellabahr
[8] „Mein Gesicht zeig ich nicht auf Facebook. Social Media als Herausforderung theologischer Anthropologie“, 2015, Edition Ethik, Band: 15
[9] Siehe dazu https://kirchedigital.blog/2018/06/26/heilig-christlich-smart/
Digitalisierung /digitale Kirche heißt für mich, eine der konfliktreichen Fragen innerhalb von Korche anzusprechen, und es geht dabei auch um Macht. Digitalisierung als eine Verfielfältigung kirchlichen Handelns betrifft auch die Frage von Finanzen, und darum wird auch vor Ort eisern gekämpft. Digitale Kirche berührt gerade bezogen auf Finanzmittel die Frage des Teilens und damit auch der Nächstenliebe: Wie groß ist die Bereitschaft der sogenannten Kerngemeinde und der Verantwortlichen Kirchenvorstände, Kirche auch ggf. Zu ihren eigenen Ungunsten zu gestalten? Strukturell- so sagt Professor Lienhard- hängt von einer solchen Bereitschaft, Initiativen , wie sie Digitale Kirche / Digitalisierung in meinen Augen darstellt, zu unterstützen, die Zukunft der Kirche ab.
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