Bisherige Erfahrungen mit interaktiven, digitalen Formaten
Als erste deutschlandweit hat die bayerische Landeskirche bisher dreimal „normale“ Fernsehgottesdienste mit einem SocialMediaDesk kombiniert. Zuschauer und Gottesdienstbesucher vor Ort konnten ihre Gedanken oder Gebete via Social Media einbringen. Einzelne Beiträge wurden im Gottesdienst vorgelesen. Funktioniert hat (zu Überraschung der Fernsehleute), dass Menschen eigene Gebetsanliegen nennen und bereit sind, Inhalte des Gottesdienstes mit eigenem Erlebten zu verknüpfen. Die Ernsthaftigkeit der Beiträge hat beeindruckt. Wir haben gelernt: Social Media eignet sich als Rückkanal und Störungen sind eher selten. Smartphones und Tablets im Gottesdienst sind nur eine Sache der Gewöhnung. Gottesdienstinhalt für eigene Devices bereitzustellen wäre generell ein guter und papiersparender Service. Menschen freuen sich, wenn sie über die Teilnahme oder das Zusehen sich miteinander verbinden können.
Meine zweite größere Erfahrung ist die Twomplet, die an drei Abenden ja auch auf dem Kirchentag angeboten wird. Das Abendgebet auf Twitter macht Teilnehmende zu einer echten Gebetsgemeinschaft. Die liturgische Funktion Vorbeter*in ist mit Stundengebeten in Kirchen sehr vergleichbar. Das Vorurteil, es würde durch das Medium Twitter so viel an zwischenmenschlicher Botschaft verloren gehen korrespondiert mit der Wahrnehmung, dass auch die zwischenmenschliche Kommunikation in kohlenstofflichen Gemeinschaften nicht immer lückenlos ist, ja ab einer gewissen Teilnehmerzahl nicht mehr gut funktioniert. Die Skalierbarkeit einer Twomplet ist da hilfreich. Im Falle der Twompleten am Abend des GermanWingsAbsturzes und nach den ParisAttentaten haben bis zu 1000 Menschen mitgebetet und mehr als 25.000 einzelne Tweets des Gebets gesehen. Und es war zwischenmenschliches immer noch möglich.
Die dritte Erfahrung ist der Livestream des WeltgebetstagsGottesdienstes 2019 aus Hellmitzheim, einer kleinen Gemeinde in Franken. Hier haben wir zum ersten mal einen Gottesdienst so übertragen, dass er am heimischen Laptop oder mit Beamer in einer anderen Kirche mitgefeiert werden kann und die digitale Teilnahme an einem Gottesdienst möglich ist. Eine der vielen Erfahrungen: der Enkel stellt der Oma im Dorf das Laptop hin und die alte Dame feiert begeistert den Gottesdienst mit, den sie so gerne besucht hätte. Aus einem „besser als nichts“ wird ein „sollte es immer geben!“.
Was spricht dafür, digitale und interaktive Gottesdienste zu feiern?
Ich glaube, das Gottesdienstgeschehen ist im Wandel und muss sich immer wieder anpassen. Das alte Leitbild des Gottesdienstes als Kernpunkt einer örtlichen Gemeinde und Puls ihres gemeinsamen Lebens ist mindestens für die überholt, die ohne einen ständigen Ortsbezug leben und/oder mit der Milieu-Verengung evangelischen Gemeindelebens ihre Schwierigkeiten haben. ottesdienstgemeinde ist für mich die jeweils um Wort uns Sakrament versammelte Gemeinde und digitale Teilnahme ist mit körperlicher gleichzusetzen. Hanna Jacobs hat mit Ihrem Plädoyer, die Predigt abzuschaffen einen weiteren Pfad gewiesen: Menschen wollen nicht mehr zugetextet sondern angeregt werden. Es genügt, wenn einzelne Gedanken berühren. Religiöse Rede als Einbahnstraßenkommunikation fällt hinter den Austausch mehrerer Menschen zurück. Interaktion wäre hier Fortführung der Verkündigung. Und bei Gebeten bleiben in traditionellen Gottesdiensten die Anliegen der Gemeinde meist außen vor.
Wie verändert Interaktivität den Gottesdienst?
Beteiligung und persönliches Liken und Teilen macht aus einem abgeschlossenen Geschehen an einem Ort für bestimmte Menschen ein offenes Beten, Singen und Nachdenken. Die drei großen Möglichkeiten der Digitalisierung 1.Raumunabhängigkeit, 2.Zeitunabhängigkeit und 3.Skalierbarkeit kommen den Gottesdienst als Ort, Zeit und Platz der Verkündigung und möglichen Anwesenheit Gottes sehr entgegen. Eigentlich schade, wenn wir diese Chance nicht nützen.